Mittwoch, 22. August 2007

Update Prussian Blue: Wie aus Tätern Opfer werden

Sachsen scheint sich in diesem Sommer zu einer Partyzone ganz besonderer Art zu entwickeln. Zwei Wochen nach dem von den Jungen Nationaldemokraten ausgerichteten rechtsradikalen "Sachsentag" in Dresden-Pappritz kam es in der Nacht zum vergangenen Sonntag in der sächsischen Kleinstadt Mügeln zu pogromartigen Auschreitungen gegen indische Migranten. Nach einem Streit in einem Festzelt jagten um die 50 vorwiegend jüngere Besucher einer "Altstadtparty" eine Gruppe von acht Indern durch die Straßen. Der Mob, der laut Zeugenaussagen fremdenfeindliche Parolen von sich gab, verfolgte die Gruppe bis zu einer Pizzeria und konnte nur durch ein massives Polizeiaufgebot von weiterer Gewalt abgehalten werden. Erinnerungen an die rassistischen Krawallnächte in Rostock-Lichtenhagen im Jahr 1992 wurden wach.

Fast auf den Tag genau vor 15 Jahren: Angriffe von Rassisten auf die Asylbewerber-Aufnahmestelle in Rostock-Lichtenhagen (Umbruch-Bildarchiv).

Dieser Vorfall ist Grund genug, noch mal zum Thema des vorigen Beitrags in den Headquarters of Crocodiles zurückzukehren. Darin ging es um die Zwillingsschwestern Lamb und Lynx Gaede, die in den USA unter dem Namen Prussian Blue zu Vorzeigegesichtern der "white pride"-Fraktion avanciert sind – und beim "Sachsentag" nebst NPD-Liedermacher Frank Rennicke aufgetreten sind.

Was wir in unserem Beitrag unter den Tisch gekehrt hatten, waren aktuelle Meldungen, dass sich die mittlerweile 15 Jahre alten "Nazi-Twins" anscheinend von dem Medienbild distanzieren, das ihre Mutter und Managerin April Gaede in Zusammenarbeit mit führenden Neonazis und Rechtsextremen in den USA für sie entworfen hat.

Anlass für diese Berichte über die "Entnazifizierung der Nazi-Twins" war die Reportage "Nazi Pop Twins" von James Quinn, die im vergangenen Monat vom britischen TV-Sender Channel 4 gezeigt wurde. Quinn durfte die Gaede-Familie seit Sommer 2006 ein ganzes Jahr lang besuchen, interviewen und filmen. Das Ergebnis sind Bilder, die uns die Gaedes hautnah erleben lassen sollen, eine Familie, die eher Vorstellungen von ländlicher Armut in den USA bis hin zu "white trash"-Klischees entspricht – und wenig an die Zuchtanstalten im wilhelminischen Deutschland denken lässt, in denen, wie Klaus Theweleit in seinem Faschismus-Klassiker "Männerphantasien" schreibt, mittels Rohrstock und Liebesentzug das Personal des künftigen Nazi-Regimes in Form gebracht wurde.

Nach James Quinns Urteil scheint April Gaede, die ihre Töchter nach gescheiter Ehe mit einem "Hasch rauchenden isländischen Stabhochspringer" (FAZ) allein erzogen hat, sogar eine gute Mutter zu sein – wäre da nicht dieser Wille, ihre Kinder für ihren politischen Aktivismus zu benutzen.

Und der hat neben dem Schlagzeilenruhm ganz erhebliche Konsequenzen für das alltägliche Leben der Gaedes. So war es die offen zum Ausdruck gebrachte Aversion der Einwohner von Bakersfield, Kalifornien, dem ursprünglichen Wohnort von April Gaede und ihren Töchtern, die sie zu einem Umzug veranlasst hat: offenbar nach Kalispell, Montana, wo sie laut ABC News schon mit Plakaten empfangen wurden, auf denen "No hate here" zu lesen stand.

Großvater und Familienoberhaupt Bill Gaede, der in der Reportage die Karikatur eines rassistischen Rednecks abgibt, trifft da lieber andere Vorkehrungen. Auf seiner Ranch in Fresno, Kalifornien, erzählt er beim Übungsschießen auf Blechdosen, dass er nicht nur auf "cans" abdrückt, sondern auch auf "Mexicans". Die Brandzeichen, die Bill seinen Rindern verpasst, haben selbstverständlich die Form von Hakenkreuzen. Großmutter Gaede, mit der Quinn eigentlich gar nicht sprechen sollte, beklagt dagegen in deutlichen Worten die soziale Isolation, in die sie die rechtsextreme Gesinnung ihres Mannes gebracht habe.

Videoclip zu Prussian Blues "Lamb Near The Lane". Der Songtext wurde von David Lane verfasst, dem kürzlich im Gefängnis gestorbenen Gründer der rechtsextremen US-Terrororganisation The Order.

Und dann sind da die Bruchlinien im professionell-familiären Verhältnis zwischen April Gaede und ihren Töchtern, die Quinn und sein Team mit der Kamera verfolgen, anscheinend in der Hoffnung, dass die Nazi-Twins, mit 15 nun in einem Alter, in dem Generationskonflikte eben ausbrechen, sich gegen die Progagandamaschine auflehnen, die ihre Mutter seit ihrer Kindheit um sie herum errichtet hat. Und tatsächlich: Die Mädchen nutzen in einer Szene die Abwesenheit ihrer Mutter, um zu erzählen, dass sie des Medienrummels überdrüssig seien.

James Quinn rückt in "Nazi Pop Twins" den Gaedes ziemlich nah auf den Leib. Die Intimität, die er dabei herstellt, hat in manchen Momenten fast etwas Pornografisches. Zumindest die Szene, in der der Filmemacher April Gaede ins Gebet nimmt, ihr seine Diagnose ins Gesicht sagt, die Anfeindungen, die sie erlebe und beklage, suche sie in Wahrheit selbst, um als "Märtyrerin" dazustehen, wobei er aus dem Off spricht, sozusagen als entkörperlichte, aber auktoriale Analytikerstimme, erinnert uns an eine Therapiesitzung.

Es gibt in der Reportage noch weitere Expeditionen ins Innenleben von April Gaede. Wie sie bereitwillig erzählt, scheint ein Grund für ihren Rassenfanatismus eine versuchte Vergewaltigung durch einen Afroamerikaner zu sein, die sie als Mädchen zu erleiden hatte. Ist das die Rechtfertigung? Oder etwa die Moral: Opfer machen andere zu Opfern. Ein ewiger Kreislauf des Missbrauchs und der Gewalt. Auch in den Headquarters mussten wir ob dieser universellen, allzu menschlichen Erkenntnis, die Quinns Film als Erklärungsmodell anbietet, mit den Krokodilstränen kämpfen.

Wir wagen die Annahme, dass sich jede auf Hass gegründete Gemeinschaft, Bewegung und Organisation aus traumatisierten, verstörten oder irregeleiteten Individuen zusammensetzt. Mit gesellschaftlich antrainiertem Therapeutenblick sieht man in ihnen nur noch Opfer und denkt zuerst, wie denn diesen armen Menschen zu helfen sei. So gesehen gibt es keine realen politischen Akteure und keine politischen Strukturen mehr, in denen diese aktiv werden, in denen sich ihre Kräfte addieren, es gibt nur noch Einzelfälle, Schicksale, Krankenakten – Handlungsbedarf für Sozialhelfer, Psychologen und Kliniken.

Das ist die eine Perspektive. Die andere, die politische, interessiert sich eher dafür, was diese Individuen, Gemeinschaften, Bewegungen und Organisationen tun. Was also ihre Handlungen bedeuten, und was diese anrichten, ob es sich dabei nun um tatsächliche Gewalt handelt oder um symbolische. Zum Beispiel ein Auftritt bei einem rechtsradikalen Sommerfest der NPD-Jugendorganisation, der wahrscheinlich nicht direkt ursächlich mit der entfesselten Mobgewalt in Mügeln zu tun hat, aber zur Stimmung beiträgt, in der solche Ausschreitungen möglich sind. Und das unabhängig davon, ob sich die Protagonisten, in diesem Fall Prussian Blue, noch vollkommen mit dem Medienbild identifizieren, das sich um sie geschlossen hat, oder nicht. Sie funktionieren und spielen ihre Rolle weiterhin zur Zufriedenheit der rechten Szene, sie stellen ihre Kreativität in den Dienst der Unfreiheit, des Hasses und der schlechten Identitätsfindung, und das ist die Hauptsache.

Die Headquarters erinnern sich in diesem Zusammenhang an eine Podiumsdiskussion der Berlinale von 2002 unter dem Titel "Reality Frame", bei der sich Slavoj Zizek zu einer Filmreportage aus deutscher Produktion äußerte, die das problematische Verhältnis eines jugendlichen deutschen Neonazis zu seiner Mutter beleuchtete, um derart dessen Rechtsradikalismus zu erklären. Der slowenische Kulturkritiker und Lacan-Interpret betrachtete diese Darstellungsstrategie als misslungen und meinte dazu (sinngemäß): Das Persönliche, das Menschliche, die Intimität bilden die Maske – dahinter verbirgt sich das wahre Gesicht: die politische Funktion.

Ein Film wie "Nazi Pop Twins", der das Anliegen seines Regisseurs transportieren soll, die psychologische, menschliche Wahrheit hinter den Medienbildern und politischen Inszenierungen von Prussian Blue darzustellen und dabei die vielfache Vernetzung April Gaedes mit der rechtsextremen Szene in den USA nicht ins Bild setzt, betreibt daher Realitätszertrümmerung. Als Reportage ist er somit gescheitert.

Keine Kommentare: