Am vorigen Samstagabend bekam ich einen Stein an den Kopf. Aus heiterem Himmel, wie man so sagt. Ich stieg die Treppe von der U-Bahn-Linie U2 zum Alexanderplatz hoch, plötzlich hörte ich und fühlte ich: ein knackendes Geräusch. Auf einer Stufe lag dann das Wurfgeschoss, etwas größer als eine Kastanie. Keine Sorge: Eine dicke Mütze schützte mich vor dem, was ohne Kopfbedeckung mindestens eine Beule geworden wäre.
"Voll krass, Alter", hätte dazu wohl einer der Jugendlichen aus der vielköpfigen Gruppe gesagt, aus der sehr wahrscheinlich der Steinwurf kam. Sie hatten sich hinter der Mauer, die den U-Bahn-Zugang umgibt, positioniert und waren voll im Saturday Night Fever, lachten, schubsten sich herum.
Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Mit einer Zigarette im Mund postierte ich mich vor dem Eingang des Saturn-Elektronikmarktes, nahe der U-Bahn, von wo aus ich die Truppe im Auge hatte. Dort ging ich auf und ab, als würde ich auf jemand warten. Dabei musterte ich sie. Natürlich sahen sie so aus wie auf dem Fahndungsplakat der "Holzklotz-Werfer" (also wie jeder Zweite in irgendeiner Fußgängerzone oder Shoppingmall).
Ich spürte Hass in mir hochkriechen.
Was ich fürchtete, blieb aber aus: mit den Blicken derer konfrontiert zu werden, die mich als Opfer ihres "Spaßes" auserkoren hatten. Niemand beachtete mich. Es war kein gezielter Angriff gewesen, die Truppe war mit sich selbst beschäftigt, wahrscheinlich hatte einer der Spaßvögel aus Übermut den Stein über die Mauer geworfen. Ihr Fun, mein verdorbener Abend: So lautet hier das Gesetz der Straße.
Was mir durch den Kopf ging: Videoüberwachung, Ausgangssperre, Ethikunterricht, Strafrechtreform, die ganzen Zutaten, mit denen das Thema in letzter Zeit heiß gekocht wurde.
Ich betrachte es als Beeinträchtigung meiner Lebensqualität, mich mit solchen Dingen gedanklich beschäftigen zu müssen. Am Ende geifert man mit "Bild" und "B. Z." gegen die Resozialisierung von Problemjugendlichen im Mittelmeerklima.
So jemand will man nicht sein.
Dennoch: Man muss nicht von der Stimmungsmache in der Presse angesteckt sein, um den gruppeninternen Konformitätsdruck, das Gepose, den Wettkampf um Aufmerksamkeit, den feigen Mut desjenigen, der sich von Kumpels umgeben fühlt, all das, was solchen beiläufigen Angriffen gegen Fremde zugrunde liegt, als abstoßend zu empfinden.
Hass jedoch ist schlecht für die geistige Gesundheit. Ich war zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Schlimmes war nicht passiert. Ich fuhr nach Hause.
An der Stelle meines Kopfes, wo eine Beule sein sollte, wächst seitdem – aus einem Phantomschmerz heraus – eine Art Cronenberg-Schnittstelle, ein Bioport, eine somatische Direktverbindung zwischen meinem Körper und dem, was im Fernsehen läuft und sonstwo an News präsentiert wird. Die gefährlichen Jugendlichen, die besorgten Pädagogen, der Mann von der Straße, die abwesenden Eltern, die TV-Moderatorin, der Law-and-Order-Politiker, der Leitartikelschreiber, die ratlosen Lehrer, das Kamerateam, ziemlich viel Personal, am Durchgang zu meinem medial aufgebrochenen Schädel herrscht Gedränge.
Interviews gibt es nur noch bei Voranmeldung.
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