Der Tod ist ein Dandy
Der französische Historiker Philippe Ariès berichtet in seiner umfangreichen "Geschichte des Todes" folgende Verfügung, die der Marquis Maurice d'Urre d'Aubais, gestorben im Alter von 70 Jahren am 21. Mai 1927, in seinem Testament festgehalten hatte.
Nach meinem Tod wünsche ich, in einem Sessel unter einem gläsernen Reliquienschrein zu sitzen. Dieser Reliquienschrein muss mit Blick auf das Meer aufgestellt werden, an einem öffentlichen, ständig erhellten Platz in der Nachbarschaft eines Leuchtturms und einer Funk- und Telegrafenstation.
Dieser Gefallen wurde dem reichen Exzentriker, der sein Vermögen dem französischen Staat vermachte, nicht getan. "In der Tat hat man seinen Sarg - und nicht seine sichtbare Mumie - in einem Zimmer seines Schlosses, das in eine Art von erleuchtetem Katafalk umgestaltet war, aufgestellt", schreibt Ariès über den weiteren Verbleib der Leiche.
Ob der Marquis, wenn es die technischen Möglichkeiten zu seiner Zeit schon gegeben hätte, die Nachbarschaft eines Fernsehstudios bevorzugt hätte, ist fraglich. Der Ort, den er für die Ausstellung seiner sterblichen Überreste ausgesucht hatte, war vermutlich ein exklusiver: als Lichtreflektion auf dem Glas des Schreins aus der Ferne, etwa von einem Schiff aus, gerade noch zu erkennen. Und man stelle sich vor, es hätte tatsächlich eine Funkverbindung gegeben zu diesem exponierten Rückzugsort für die Ewigkeit: Der Person am anderen Apparat wäre nichts weiter zu Ohren gekommen als das Rauschen des Meeres.
Pst! Hier wird gestorben
Heute, mehr als 80 Jahre nach dem Tod des Marquis, ist es wieder eine Art Reliquienschrein, an dem sich das Licht bricht, obwohl auch er kaum mehr ist als ein Hirngespinst. Nahe bei ihm überkreuzen sich die Nachrichtenströme, und ein mediales Geräusch umfängt ihn auf allen Kanälen. Nur das Miteinander von totaler Sichtbarkeit und endloser Einsamkeit gelingt in der Tele-Gesellschaft viel eindrucksvoller.
Die Rede ist von dem Vorhaben Gregor Schneiders, einen Sterbenden oder einen Leichnam ins Museum zu bringen. Aus humanitären Gründen, wie der deutsche Künstler betonte, nachdem sich die ersten Erregungswellen durch die Feuilletons und Boulevardblätter ausgebreitet hatten.
Im Interview der "Westdeutschen Zeitung" erläutert Schneider seine Motive:
Der Tod ist ein privater und intimer Vorgang, der meistens nicht schön ist. Ich würde gern in einem von mir ausgewählten Raum, einem privaten Bereich des Museums, sterben, umgeben mit Kunst. Meine Hoffnung ist es, schön, erfüllt zu sterben. Vielleicht schaffen wir das alle, wenn wir den Tod aus der Tabuzone befreien und zu einem positiven Erlebnis machen wie die Geburt eines Kindes.
Probe liegen soll für diese finale Performance aber erst mal jemand anders. Einen Kandidaten für diesen makabren Beautysalon habe der "Todeskünstler", wie es bei "Welt Online" heißt, bereits gefunden.
Der Tod steht ihr gut
Todeskitsch im Zeitraffer. Offensichtlich wurde das Filmmaterial geschnitten. Vom Bundesamt für Tabuisierung des Todes?
Ein Leichenschmaus für Debattenjockeys
Natürlich kann Gregor Schneider, wenn er eine "Debatte anstoßen" ("taz") möchte, auf das Zauberwort "Tabu" nicht verzichten. Die Bemerkung, der Tod sei in den westlichen Gesellschaften tabuisiert, verdrängt, unterdrückt, was auch immer, gehört schließlich zum gängigen Blabla von Leuten, die irgendwelche Scheußlichkeiten als gesellschaftlich relevant verkaufen wollen.
Der Mechanismus des ganzens Vorgangs, der Erregungsproduktion wie der darauffolgenden Kritik daran, ist bekannt: Stets, wenn mit anklagendem Ton irgendein gesellschaftliches Tabu behauptet wird, findet sich jemand, oft der Sprecher dieser Behauptung selbst, der dann mit Emphase dieses angebliche Tabu bricht. Heraus kommt dann dabei meist etwas extrem Kurzsichtiges, oft Ärgerliches, mitunter Reaktionäres.
Und hat der Tabubrecher erst irgendein Megafon in Funk und Fernsehen gefunden, mit dem er in Welt hinausbrüllt, dass er hier tut, was er eigentlich gar nicht darf, springt genauso todsicher ein ebenfalls ritualisierter Vorgang der Datenverarbeitung in den Redaktionen an, der sein Tun "schonungslos kritisiert". Ein paar Hinterbänkler in den Parlamenten gibt es zudem immer, die sich sogleich aufgeregt zu Wort melden. Deren Statements im Namen des politisch-moralischen Subjekts lassen dann sich für Pressemitteilungen im Stundentakt verbraten.
Als nächster Schritt in der medialen Verwertungskette kommt zwangsläufig die Meta-Kritik. Der Tabubruch sei gar keiner, analysieren dann die reflektierteren Schreiber - nicht selten auf den Seiten jener Zeitungen, die tags zuvor noch "Skandal!" geschrien hatten.
Wenn sich alle Beteiligten schön an diese Spielregeln halten, bringen sie vielleicht auch das zustande, was ihnen samt und sonders nutzt: eine sogenannte Feuilleton-Debatte.
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